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Anmerkungen zur Mindestlohndebatte: Elastizitäten, Strukturparameter und Topfschlagen

Commenting on the minimum wage debate: elasticities, structural parameters and groping in the dark

Zusammenfassung

Die Einführung von Mindestlöhnen ist in Deutschland schon intensiv diskutiert worden. Dieser Beitrag ist aus dem Blickwinkel eines empirischen Arbeitsmarktforschers geschrieben und verfolgt zwei Ziele. Zum einen soll auf einige wirtschaftstheoretische Aspekte verwiesen werden, die in der aktuellen Debatte in Deutschland bisher nicht hinreichend diskutiert wurden, obwohl sie wichtige Erklärungsmuster für zentrale Arbeitsmarktphänomene liefern. Ein zweites Ziel ist die Diskussion von relevanten empirischen Ansätzen und Ergebnissen. Gegner eines Mindestlohns und Befürworter eines moderaten Mindestlohns in Deutschland weisen überzeugende theoretische Argumente für ihre Positionen auf. Im Gegensatz dazu ist leider die empirische Basis der Diskussion in Deutschland noch sehr schwach – eine erfreuliche Ausnahme stellt die Studie von König u. Möller (2007) dar. Im Lichte des aktuellen Diskussionsstandes kann ich die Einführung eines noch so moderaten Mindestlohns nicht befürworten. Allerdings sind für mich Umstände denkbar, unter denen die Einführung eines moderaten Mindestlohns sinnvoll wäre. Die Bringschuld dafür, überzeugende empirische Evidenz für das Vorliegen solcher Umstände vorzulegen, liegt bei den Befürwortern eines Mindestlohns.

Abstract

The introduction of minimum wages has already been discussed intensively in Germany. This comment is written from the viewpoint of an empirical labor economist. There are two objectives of this paper. First, the paper refers to some aspects of economic theory which have so far not been adequately discussed in the current debate in Germany although they provide important explanatory patterns for key labour market phenomena. The second objective is the discussion of relevant empirical approaches and results. Opponents of a minimum wage and advocates of a moderate minimum wage in Germany offer convincing theoretical arguments for their positions. In contrast, the empirical basis of the debate in Germany is, unfortunately, still very weak. A positive exception is the study by König and Möller (2007). In the light of the current status of the debate, I can not advocate the introduction of a minimum wage, no matter how moderate. However, I think that there are conceivable circumstances under which it would make sense to introduce a moderate minimum wage. The obligation to deliver convincing empirical evidence for the existence of such circumstances has to be delivered by the advocates of the minimum wage.

  1. 1.

    Gibt es noch etwas Neues? Zur Mindestlohndebatte ist vonakademischer und von politischer Seite schon sehr vieles gesagt und publiziert worden. Mehrfach wurde die internationale Diskussion in einschlägigen Übersichtsartikeln (zuletzt Neumark u. Wascher 2007) zusammengefasst. Das Für und Wider der aktuell in Deutschland diskutierten und praktizierten Einführung von Mindestlöhnen wurde intensiv im ifo Schnelldienst von führenden deutschen Ökonomen kontrovers diskutiert. Der Sachverständigenrat (Sachverständigenrat 2006, S. 401ff.) hat sich dem Thema intensiv gewidmet und in seiner Mehrheit die Einführung von Mindestlöhnen als Irrweg bezeichnet. Die einschlägigen wirtschaftstheoretischen Argumentationslinien sind bekannt und werden von mir hier sehr kurz in den Punkten 2 und 3 zum Einstieg in die Diskussion rekapituliert, um zu zeigen an welchen Stellen sie zu kurz greifen. In diesem Beitrag soll auf einige wirtschaftstheoretische Aspekte verwiesen werden, die in der aktuellen Debatte in Deutschland bisher nicht hinreichend diskutiert wurden, obwohl sie wichtige Erklärungsmuster für zentrale Arbeitsmarktphänomene liefern. Angesichts der theoretisch nicht vorherzusagenden Wirkungsrichtung ist die Frage der Wirkung eines Mindestlohns eine empirische Frage, die nur mit modernen Methoden der empirischen Arbeitsmarktforschung seriös beantwortet werden kann (Neumark u. Wascher 2007) – und dass auch nur, wenn Methoden und Daten eine Identifikation von Strukturparametern oder von interessierenden kausalen Effekten erlauben. Ein zweites Ziel dieses Beitrags ist daher die Diskussion von relevanten empirischen Ansätzen und Ergebnissen. Auch hier beschränke ich mich auf einige Aspekte, die mir zur Einordnung wichtig erscheinen, die aber aus meiner Sicht in der bisherigen Debatte in Deutschland nicht – oder nicht ausreichend – berücksichtigt wurden. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ich hier auf die wichtigen verteilungspolitischen Aspekte des Mindestlohns bewusst nicht eingehen werde, siehe hierzu bspw. die Ausführungen von Börsch-Supan in ifo Schnelldienst (2008, S. 37ff.) oder Franz (2007). Nur soviel, ein flächendeckender Mindestlohn kann kein zielgruppenorientiertes Mittel der Armutsbekämpfung sein. Umgekehrt kann er zum Bumerang werden, wenn er armen Erwerbspersonen die Möglichkeit nimmt, sich etwas zu ihren Sozialleistungen hinzuzuverdienen. Ebenso nehme ich keinen Vergleich vor zwischen einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und einem branchenspezifischen Mindestlohn, siehe hierzu diverse Stellungnahmen in ifo Schnelldienst.

  2. 2.

    Theoretisch alles klar, Teil 1: Unterstellen wir das Lehrbuchmodell einer neoklassischen, mit dem Lohn fallenden Nachfrage nach homogener Arbeit und eines konstanten oder mit dem Lohn steigenden Angebots für homogene Arbeit, dann ist alles ganz einfach. Liegt der Mindestlohn unterhalb des Gleichgewichtslohns, bei dem Angebot gleich Nachfrage ist, dann ist der Mindestlohn wirkungslos, sprich im Gleichgewicht stellt sich der höhere Marktgleichgewichtslohn ein, weil sich Arbeitgeber und Arbeitsanbieter bei diesem höheren Lohn beide besser stellen. Umgekehrt, wenn der Mindestlohn dem Gleichgewichtslohn entspricht oder sogar darüber liegt, dann führt eine Erhöhung des Mindestlohns zu einer Bewegung entlang der Arbeitsnachfrage, d. h. der Lohn steigt, die Beschäftigung sinkt und es entsteht Arbeitslosigkeit. Die unterstellte Homogenität des Faktors Arbeit und das Fehlen von Marktmacht schränken die Anwendbarkeit dieser Überlegungen ein, wie die folgenden Ausführungen deutlich machen.

  3. 3.

    Theoretisch alles klar, Teil 2: Anders wird im Lehrbuchmodell des Monopsons Marktmacht des Arbeitgebers unterstellt, die dazu führt, dass der Arbeitnehmer unterhalb seiner Grenzproduktivität entlohnt wird und gleichzeitig die Beschäftigung niedriger als im Arbeitsmarktgleichgewicht bei vollständiger Konkurrenz ausfällt. Die Marktmacht des Arbeitgebers führt dazu, dass er den Beschäftigten nur den minimalen Lohn (\( = \) Reservationslohn) bezahlen muss, zu dem diese alle entsprechend der Arbeitsangebotsfunktion bereit sind, erwerbstätig zu sein. Wenn der Arbeitgeber nun einen weiteren Beschäftigten einstellt, muss er allen Beschäftigten den höheren Reservationslohn des letzten eingestellten Beschäftigten bezahlen, womit sich die Grenzkosten der Arbeit erhöhen. Dadurch stellt er nicht so viele Beschäftigte ein, wie es ihrer Produktivität entspricht. Dieses Phänomen tritt jedoch nicht auf, wenn der Arbeitgeber Lohndiskriminierung ausüben kann, d. h. jeden Beschäftigten nach seinem Reservationslohn bezahlen kann. Dann wird der Monopsonarbeitgeber die gleiche Beschäftigung wie im Marktgleichgewicht realisieren, allerdings im Vergleich zum Marktgleichgewicht zu Lasten der Einkommen der Arbeitnehmer mit niedrigen Reservationslöhnen. Nur der letzte eingestellte Beschäftigte verdient den Marktgleichgewichtslohn. Das einfache Monopsonmodell ohne Lohndiskriminierung impliziert, dass ein moderater Mindestlohn, der oberhalb des bisherigen Lohns und unterhalb des Marktgleichgewichtslohns liegt, zu einem Anstieg der Entlohnung und der Beschäftigung führt. Dies liegt daran, dass der Monopsonarbeitgeber nun jeden Beschäftigten gleich bezahlen muss und damit der lohnerhöhende Effekt für alle bisherigen Beschäftigten wegfällt. Weiterhin führt ein Mindestlohn in Höhe des Marktgleichgewichtslohns zur maximalen Beschäftigung. Ein weniger moderater Mindestlohn oberhalb des Marktgleichgewichtslohns führt auch im Monopsonmodell zu Beschäftigungsverlusten, analog zu den Ausführungen unter Punkt 2. Das Monopsonmodell ohne Lohndiskriminierung ist das Lehrbuchmodell für die theoretische Nichteindeutigkeit des Zusammenhangs zwischen Mindestlohn und Beschäftigung (Manning 2003; Neumark u. Wascher 2007). Das Monopsonmodell ist für die Mindestlohndebatte in Deutschland unrealistisch, sowohl im Hinblick auf die Homogenitätsannahme für den Faktor Arbeit wie auch im Hinblick auf die Annahme, dass es nur eine Unternehmung gibt. Eine gewisse, meist zeitlich befristete Marktmacht der Arbeitgeber existiert jedoch auch in Arbeitsmärkten mit heterogenen Arbeitnehmern und Friktionen. Man spricht von Modellen mit monopsonistischer Konkurrenz (Cahuc u. Zylberberg 2004), in denen ähnliche Zusammenhänge wie im Monopsonmodell auftreten können, siehe Punkt 5. Festzuhalten ist, dass die nach dem Monopsonmodell bestehende theoretische Möglichkeit, dass ein moderater Mindestlohn mit Beschäftigungsgewinnen – oder zumindest ohne Beschäftigungsverluste – eingeführt werden kann, noch lange nicht impliziert, dass dies tatsächlich so sein muss. Vielmehr gilt das Ergebnis nur für einen sehr engen Lohnbereich, dessen direkte empirische Operationalisierung auf Basis des Monopsonmodells angesichts seiner unrealistischen Modellannahmen aussichtslos erscheint.

  4. 4.

    Das Lehrbuchmodell einer neoklassischen, mit dem Lohn fallenden Nachfrage nach homogener Arbeit liegt den bekannten Abschätzungen des ifo Instituts durch Ragnitz u. Thum (2008) zu den negativen Beschäftigungswirkungen des Mindestlohnes zu Grunde, die einen nach Höhe des vorherigen Lohnes homogenen Faktor Arbeit im Niedriglohnsektor unterstellen. Auf Basis einer leider selektiven Literaturübersicht unterstellen die Autoren eine negative Lohnelastizität von −0,75. Der Beschäftigungsverlust in Folge einer Mindestlohneinführung ergibt sich dann für jeden Arbeitnehmer aus dem Lohnabstand zwischen dem bisher tatsächlich gezahlten Lohn und dem unterstellten Mindestlohn – kumuliert über alle Arbeitnehmer, deren bisheriger Lohn unter dem Mindestlohn liegt. Der Heterogenität der Arbeit wird dahingehend Rechnung getragen, dass ein unterschiedliches Produktivitätsniveau unterstellt wird, das dem bisherigen Lohnsatz entspricht. Arbeitnehmer mit unterschiedlichem Lohnsatz weisen entsprechend unterschiedliche Produktivitäten auf. Substitutionsbeziehungen zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen und Friktionen am Arbeitsmarkt, siehe unten, werden ignoriert. Weiterhin wird in der Literaturdiskussion von Ragnitz u. Thum (2008) nicht deutlich, ob die dort geschätzten Elastizitäten Gesamteffekte darstellen, die sowohl den Substitutionseffekt als auch den Skaleneffekt der mikroökonomischen Arbeitsnachfrage (Franz 2006, Kap. 4) umfassen. Der Substitutionseffekt gibt an, um wie viel sich die Nachfrage nach einem teurer gewordenen Produktionsfaktor in Folge der Substitution durch die relativ billiger gewordenen Produktionsfaktoren bei gleichbleibendem Output reduziert. Der Skaleneffekt gibt an, inwieweit sich die Nachfrage nach einem Produktionsfaktor reduziert, weil der Output aufgrund gestiegener Produktionskosten zurückgeht. Einige der von Ragnitz u. Thum (2008) zu Grunde gelegten empirischen Studien zur Arbeitsnachfrage schätzen explizit nur den Substitutionseffekt. Darüber hinaus beruhen die existierenden empirischen Studien zur Schätzung der Arbeitsnachfrageelastizitäten darauf, dass die Reaktion der Beschäftigung auf Veränderungen der Durchschnittslöhne für vergleichsweise hoch aggregierte Arbeitnehmergruppen geschätzt wird. Ragnitz u. Thum (2008) verwenden jedoch die unterstellte Arbeitsnachfrageelastizität separat für jede Arbeitnehmergruppe nach ursprünglichem Lohnniveau, was nicht der Datensituation entspricht, auf Basis derer typische Arbeitsnachfrageelastizitäten für Deutschland geschätzt wurden.

    In unserer Studie Fitzenberger u. Kohn (2006) schätzen wir die Substitutionselastizitäten zwischen 18 verschiedenen Arbeitnehmergruppen, die sich nach Alter und Ausbildung unterscheiden. Mir ist keine empirische Studie der Arbeitsnachfrage für Deutschland bekannt, die soviel Heterogenität zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen zulässt. Unsere Analyse berücksichtigt auch den Skaleneffekt und erlaubt somit eine Einschätzung der Gesamteffekte einer Lohnerhöhung. Wenn man nur die Sicht der Arbeitsnachfrage zu Grunde legt, dann erlauben unsere Schätzergebnisse, die Beschäftigungseffekte der Einführung eines Mindestlohns für die betroffenen Arbeitnehmergruppen wie folgt zu schätzen. Unser Ansatz erlaubt es nicht, die individuellen Löhne zu betrachten, und deshalb können nur die Durchschnittslöhne innerhalb der 18 Gruppen betrachtet werden. Man müsste unterstellen, dass für die Gruppen, deren Durchschnittslohn unterhalb des Mindestlohns liegt, der Durchschnittslohn auf das Niveau des Mindestlohns angehoben wird. Dies wäre jedoch eine problematische Annahme, da es in den betroffenen Arbeitnehmergruppen jedoch auch Personen geben kann, deren Lohn oberhalb des Mindestlohns liegt, obwohl der Durchschnittslohn unterhalb des Mindestlohns liegt. Umgekehrt kann es in den nicht betroffenen Arbeitnehmergruppen auch Personen geben, deren Lohn unterhalb des Mindestlohns liegt. Der Problematik der residualen Lohndispersion würde mit einer solchen Schätzung nicht angemessen Rechnung getragen. Wenn man unter diesen Vorbehalten bereit ist, die Ergebnisse in Fitzenberger u. Kohn (2006) zu verwenden, dann ist vermutlich von betragsmäßig deutlich höheren Arbeitsnachfrageelastizitäten auszugehen, als dem von Ragnitz u. Thum (2008) unterstellten Wert von −0,75. Der Grund hierfür ist, dass die Studie Fitzenberger u. Kohn (2006) sehr hohe Substitutionselastizitäten schätzt. Allerdings kann sich die Schätzung nur auf Durchschnittslöhne der verwendeten Arbeitnehmergruppen beziehen, was wiederum den geschätzten Beschäftigungseffekt eines Mindestlohns verzerren kann, wobei die Richtung der Verzerrung offen ist. Eine solche Schätzung sprengt den Rahmen dieser Anmerkungen. Im Lichte der obigen Argumentation wird deutlich, dass offen ist, ob der geschätzte Beschäftigungseffekt stärker oder schwächer als in Ragnitz u. Thum (2008) ausfällt.

    Ragnitz u. Thum (2008) beklagen zu Recht einen Mangel an empirischer Forschung zur Arbeitsnachfrage. Allerdings ist festzuhalten, dass die Literatur noch keinen angemessenen Weg gefunden hat, die residuale Lohndispersion – und damit die Heterogenität von beobachtungsäquivalenten Arbeitsnehmern – in der Schätzung von Arbeitsnachfrageelastizitäten zu berücksichtigen.

  5. 5.

    Ein in der Literatur beliebter, indirekter Weg der Operationalisierung besteht darin, die Beschäftigungseffekte der Einführung von Mindestlöhnen oder der Veränderung von Mindestlöhnen empirisch zu untersuchen. Man spricht von einem natürlichen Experiment, wenn davon auszugehen ist, dass die Einführung oder Veränderung des Mindestlohns nicht in Antizipation systematischer Veränderungen am Arbeitsmarkt nach dieser Änderung erfolgt. Die empirischen Wirtschaftsforscher sprechen dann von einer exogenen Politikvariation. Unter der Exogenitätsannahme lässt sich der Effekt des Mindestlohns durch einen Vergleich der Beschäftigungsänderung für die von der Mindestlohnvariation betroffenen Arbeitnehmer (die sogenannte Behandlungsgruppe) und der Beschäftigungsänderung für die von der Mindestlohnvariation nicht betroffenen Arbeitnehmer (die sogenannte Kontrollgruppe) schätzen, wenn man bereit ist zu unterstellen, dass sich die Beschäftigungssituation für Behandlungsgruppe und Kontrollgruppe ohne diese Politikvariation in gleicher Weise verändert hätte. Dieses als Differenz-von-Differenzen-Schätzung (DvD) bezeichnete Verfahren liegt den modernen empirischen Untersuchungen der Effekte des Mindestlohns seit den Pionierstudien von Card u. Krueger (1995) zu Grunde und dominiert die aktuellen internationalen Untersuchungen zu den Effekten von Mindestlöhnen (siehe Machin et al. 2003 und die Übersicht in Neumark u. Wascher 2007). Die Behandlungsgruppe umfasst typischerweise die Arbeitnehmer, deren Entlohnung vor Einführung oder Erhöhung des Mindestlohns unterhalb des neuen Niveaus des Mindestlohns liegen. Die Kontrollgruppe sind die Personen, deren Entlohnung schon vorab oberhalb dieses Niveaus liegt. Im Lichte der Lehrbuchtheorien zum Mindestlohn wird ein geringer Mindestlohn als nicht beschäftigungsfeindlich eingestuft, während ein hoher Mindestlohn zu Beschäftigungsverlusten führt. Der skizzierte empirische Ansatz folgt nach meiner Einschätzung einer Strategie des “Topfschlagens” – wobei diese Charakterisierung nicht negativ gemeint ist, schließlich finden meine Kinder mit dieser Strategie immer ihr Ziel. Man versucht das kritische Lohnniveau zu bestimmen, ab dem die Beschäftigungseffekte des Mindestlohns negativ werden. Die wirtschaftswissenschaftlichen Befürworter eines moderaten Mindestlohns loten hiermit den gerade noch nicht beschäftigungsfeindlichen und damit vertretbaren Mindestlohn aus – eine Strategie, die augenscheinlich in der Festsetzung des Mindestlohns in Großbritannien durch die Low-Pay-Commission in Form der Extrapolation eines für die Vergangenheit als nicht beschäftigungsfeindlich gefundenen Niveaus des Mindestlohns eine große Rolle spielt (siehe Machin et al. 2003 und auch die Argumentation von Möller u. König 2008, S. 13ff.).

  6. 6.

    König u. Möller (2007) begannen in einer inzwischen vielbeachteten, empirischen Studie mit dem Topfschlagen in Deutschland. Als natürliches Experiment untersuchen sie die Effekte der Einführung eines Mindestlohns für das Baugewerbe im Jahr 1997. Behandlungsgruppe sind die Arbeitnehmer, die vor Einführung des Mindestlohns weniger als diesen Mindestlohn verdienten. Kontrollgruppe sind die Arbeitnehmer, die vor Einführung des Mindestlohns etwas oberhalb des Mindestlohns verdienten. Die Autoren beabsichtigen damit möglichst ähnliche Arbeitnehmergruppen zu verwenden, damit die Vergleichbarkeit von Behandlungsgruppe und Kontrollgruppe gewährleistet ist. Diese wichtige empirische Studie stellt einen großen Fortschritt für die Debatte in Deutschland dar, da sie die akademische und methodische Diskussion auf das Niveau der internationalen arbeitsmarktökonomischen Diskussion hebt. Die Ergebnisse der Studie sind wenig überraschend. In Ostdeutschland, wo vor der Einführung des Mindestlohns ein hoher Anteil der Beschäftigten einen Lohn unterhalb des Mindestlohns verdiente, führt die Einführung des Mindestlohns 1997 zu signifikanten Beschäftigungsverlusten. Diese Ergebnisse sind mit den Ergebnissen in Machin et al. (2003) vergleichbar, da in dieser Studie für Großbritannien ebenfalls die Beschäftigungseffekte des Mindestlohns für einen Wirtschaftszweig untersucht werden, in dem ebenfalls vor Einführung des Mindestlohnes ein bedeutender Anteil der Beschäftigten weniger als den Mindestlohn verdienten. Im Gegensatz dazu finden König u. Möller (2007) keinen signifikant negativen Beschäftigungseffekt in Westdeutschland, wo die Bindungswirkung des Mindestlohns geringer als in Ostdeutschland ist.

  7. 7.

    Das Fehlen eines negativen Beschäftigungseffektes in der Studie von König u. Möller (2007) für Westdeutschland löste im Winter 2007/08 eine hitzige Debatte in der Wirtschaftspresse und unter renommierten Ökonomen aus, nachdem das Handelsblatt die Studie von König u. Möller (2007) besprochen hatte. Wie aus den obigen theoretischen Überlegungen deutlich wird, sind die Ergebnisse wenig erstaunlich und können aus meiner Sicht nicht als Begründung für die Einführung eines Mindestlohns herangezogen werden – dazu später mehr. In einer hitzigen Debatte wurden König u. Möller (2007) von Schmidt u. Kluve (2008) und Ragnitz u. Thum (2008) methodische Fehler vorgeworfen, was aus meiner Sicht unzutreffend ist. Kernpunkt der Kritik von Schmidt u. Kluve (2008), die wiederum das Handelsblatt an prominenter Stelle publizierte, war, dass die Kontrollgruppe in der Studie von König u. Möller (2007) ebenfalls von der Erhöhung des Mindestlohns betroffen war und deshalb eine fundamentale Annahme für die Anwendung des Differenz-von-Differenzen-Schätzers nicht gegeben ist. Dieses Argument ist prinzipiell richtig, aber in der Kritik an den Ergebnissen von König u. Möller (2007) nicht stichhaltig, denn Schmidt u. Kluve (2008) unterstellen einen negativen Beschäftigungseffekt der Einführung des Mindestlohns auch in Westdeutschland, und ihre Argumentation legt nahe, dass der methodische Fehler dazu führte, dass König u. Möller (2007) einen zu positiven Beschäftigungseffekt für Westdeutschland und einen zu wenig negativen Beschäftigungseffekt für Ostdeutschland schätzen. Nach meinem Verständnis der empirischen Forschungsliteratur zur Arbeitsnachfrage ist jedoch das Gegenteil der Fall, siehe unter anderem unsere Studie Fitzenberger u. Kohn (2006) oder Franz (2006, Kap. 4). Die entscheidende Frage ist: in welche Richtung verzerrt die Wirkung auf die Kontrollgruppe den ermittelten Beschäftigungseffekt? Wenn man unterstellt, dass eine neoklassische Arbeitsnachfragefunktion die Beschäftigung bestimmt (eine Annahme, die im Einklang mit den Überlegungen von Schmidt u. Kluve 2008 steht), dann muss man den Substitutionseffekt und den Skaleneffekt einer Lohnerhöhung unterscheiden. Nota bene: eine neoklassische Arbeitsnachfragefunktion unterstellt immer, dass ein Mindestlohn die Beschäftigung für die betroffenen Arbeitnehmer reduziert, weil ihr Lohn im Wettbewerb unterhalb des Mindestlohns liegt. Schmidt u. Kluve (2008) sprechen den Substitutionseffekt an, wenn sie sagen, dass die Kontrollgruppe durch die Mindestlohnerhöhung attraktiver wird und damit deren Beschäftigung ansteigt. Den Skaleneffekt sprechen sie an, wenn sie sagen, dass der Mindestlohn zu einer insgesamt gedämpften Aktivität der Bauwirtschaft führt. Aus meiner Sicht ist es möglich, die beiden Effekte gegeneinander abzuwägen. Eine vereinfachte Lehrbuchversion der Arbeitsnachfrage (siehe Franz 2006, Kap. 4) besagt, dass der Nettoeffekt von der Differenz zwischen der Substitutionselastizität zwischen den betroffenen Arbeitnehmergruppen und der Nachfrageelastizität nach Produkten der Bauindustrie abhängt. Wie sind beide Elastizitäten zu quantifizieren? Auf Basis unserer Forschung in Fitzenberger u. Kohn (2006) vermute ich, dass der Substitutionseffekt deutlich stärker als der Skaleneffekt ist. Dies reflektiert einfach den Umstand, dass die beiden Arbeitnehmergruppen sehr ähnlich sind. Wenn das aber so ist, dann überschätzen König u. Möller (2007) sogar den negativen Beschäftigungseffekt des Mindestlohns für Ostdeutschland und unterschätzen den positiven Beschäftigungseffekt für Westdeutschland. Schmidt u. Kluve (2008) argumentieren auch dahingehend, dass Kapitalsubstitution in Reaktion auf die Einführung des Mindestlohns die Ergebnisse verzerren können. Allerdings zeigen empirische Studien meist geringere Substitutionselastizitäten zwischen Kapital und verschiedenen Typen des Faktors Arbeit als zwischen sehr ähnlichen Arbeitnehmergruppen, wie dies hier vermutlich für die Behandlungsgruppe und die Kontrollgruppe der Fall ist. Wenn für die besser bezahlte Kontrollgruppe sogar von einer Komplementarität mit dem Kapitalstock auszugehen ist, dann würde sich die Verzerrung der Ergebnisse von König u. Möller (2007) sogar analog zu dem oben geäußerten Argument umdrehen. In der Frage der Kapitalsubstitution besteht sicherlich weiterer Forschungsbedarf, aber Schmidt u. Kluve (2008) kann aus den genannten Gründen nicht zugestimmt werden, wenn sie schreiben „Die Nichtberücksichtigung dieser Substitutionsbeziehungen führt also dazu, dass die Studie [von König u. Möller (2007), der Autor] keine stichhaltigen Erkenntnisse liefern kann.“

    Ragnitz u. Thum (2008) kritisieren die Studie von König u. Möller (2007) wegen fehlender Signifikanz der Ergebnisse für Westdeutschland, die auf zu schlechte Datenlage schließen lassen, und wegen des Zusammenspiels der Wirkungen des Mindestlohns in West- und Ostdeutschland. Das erste Argument ist nicht überzeugend. Wenn eine Theorie einen negativen Beschäftigungseffekt postuliert, dann kann ein positiver Effekt, der nicht signifikant ist, durchaus als fehlende Evidenz für diese Theorie gewertet werden. Vermutlich könnte sogar statistisch gezeigt werden, dass dieses Ergebnis sich signifikant von einer Arbeitsnachfrageelastizität in der Größenordnung von −0,75 unterscheidet. Das Argument im Hinblick auf das Zusammenspiel zwischen West- und Ostdeutschland stellt darauf ab, dass der in Ostdeutschland stärker bindende Mindestlohn dort die Konkurrenzfähigkeit im Vergleich zu westdeutschen Baufirmen reduzierte und deshalb der Beschäftigungseffekt in Westdeutschland weniger negativ ausfällt. Dieses Argument ist falsch, da ein solcher Effekt sowohl für die Behandlungsgruppe als auch für die Kontrollgruppe, die beide in Westdeutschland angesiedelt sind, zuträfe. Deshalb kann das Argument, selbst wenn es zutrifft, nicht dazu dienen, die unterstellte Verzerrung der Ergebnisse von König u. Möller (2007) zu begründen.

  8. 8.

    Such- und Matchingfriktionen in Verbindung mit Lohnsetzung durch Arbeitgeber, die eine stärkere Verhandlungsmacht als Arbeitnehmer aufweisen, können in der modernen Gleichgewichts-Suchtheorie („Equilibrium Search Theory“) die Existenz von monopsonistischer Konkurrenz erklären, siehe die Lehrbuchdarstellung in Cahuc u. Zylberberg (2004, Kap. 3) und die Ausführungen in Manning (2003). Such- und Matchingfriktionen ergeben sich aufgrund unvollständiger Information und Unsicherheit der Arbeitnehmer über ihre Verdienstmöglichkeiten im Arbeitsmarkt und die Unmöglichkeit, gleichzeitig Lohnangebote von vielen Arbeitgebern einzuholen. In einer solchen Situation haben Arbeitgeber temporär eine Monopsonstellung, da Arbeitnehmer nicht sofort auf einen besseren Arbeitsplatz wechseln können. Je höher die Such- und Jobwechselkosten des Arbeitnehmers sind, umso stärker können Arbeitgeber ihre Marktmacht ausüben und die Löhne in Richtung des Reservationslohns drücken. Je stärker der Markt wirkt und damit umso leichter Arbeitnehmer neue, bessere Jobangebote finden können, umso näher liegt die Entlohnung an der tatsächlichen Produktivität des Arbeitnehmers. In solchen Modellen monopsonistischer Konkurrenz kann nun ein moderater Mindestlohn die Marktmacht der Arbeitgeber in Form der Möglichkeit der Lohndiskriminierung begrenzen, ohne dass die Beschäftigung sinkt, wenn der Mindestlohn unterhalb der Produktivität der Arbeitnehmer liegt. Wenn die Suchanstrengungen der Arbeitnehmer nach einem Arbeitsplatz durch den Mindestlohn sogar steigen, weil sie einen besseren Arbeitsplatz erwarten können, dann kann in dieser Theorie die Beschäftigung in Reaktion auf die Einführung eines Mindestlohns sogar steigen, siehe Cahuc u. Zylberberg (2004, Kap. 12.1). Nota bene, dies ist ein theoretisch denkbares Ergebnis, das auf einer seriösen, in der internationalen Forschungsliteratur anerkannten Theorie beruht. Nach meiner Kenntnis der Literatur gibt es bisher keine empirische Studie für Deutschland, die dieses interessante und bedenkenswerte Modell gegenüber anderen interessanten und bedenkenswerten Modellen im Hinblick auf die Effekte der Einführung eines Mindestlohns empirisch operationalisiert. Dies wäre aus meiner Sicht eine Bringschuld der akademischen Befürworter eines moderaten Mindestlohns.

  9. 9.

    In unserer Studie Fitzenberger u. Garloff (2008) untersuchen wir einige Implikationen der modernen Gleichgewichts-Suchtheorie im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Lohnstreuung und Beschäftigung für Gruppen von Arbeitnehmern mit festen Beobachtungsmerkmalen – es geht also um die sogenannte residuale Lohnstreuung. Während ein Arbeitsnachfragemodell mit unbeobachteter Heterogenität der Arbeitnehmer nahe legt, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen der Lohnstreuung, als Indikator der Lohnflexibilität, und der Beschäftigung gibt, ergibt sich nach der Gleichgewichts-Suchtheorie ein gegenteiliger empirischer Zusammenhang, wenn mit zunehmenden Friktionen am Arbeitsmarkt die Beschäftigung sinkt und die Lohnstreuung zunimmt. Unsere Studie liefert einige Hinweise auf eine höhere empirische Relevanz der Gleichgewichts-Suchtheorie im Vergleich zur Arbeitsnachfragetheorie bei heterogener Arbeit, allerdings sind die Ergebnisse leider nicht so eindeutig, dass ein eindeutiger Test zwischen den beiden Theorien möglich ist. Da sich unsere Studie allein auf Arbeitnehmer mit festen Beobachtungsmerkmalen beschränkt und damit Substitutionseffekte zwischen Arbeitnehmergruppen explizit ausblendet, steht dies nicht im Widerspruch zu konventionellen empirischen Analysen der Arbeitsnachfrage. Unsere Studie konnte nicht explizit die Wirkungen von Mindestlöhnen untersuchen. Aufgrund dieser Einschränkungen kann sie nicht als Legitimation für die Einführung von Mindestlöhnen dienen.

  10. 10.

    Eine gelegentlich geäußerte Motivation für die Einführung von Mindestlöhnen ist der Missbrauch von Lohnsubventionen, beispielsweise indem Arbeitgeber einen geringeren Lohn bezahlen als marktüblich, weil der Lohn durch die Subvention aufgestockt wird, oder indem ein Teil der Lohnzahlung nicht offiziell deklariert wird. Der erste Aspekt stellt aus meiner Sicht eher die Sinnhaftigkeit der Lohnsubventionen in Frage. Sinn und Zweck von Lohnsubventionen ist es nun einmal die Arbeitskosten für Unternehmen zu senken, damit sie Personen einstellen, die sie sonst nicht eingestellt hätten. Dabei besteht bekanntermaßen die Gefahr von Mitnahmeeffekten, die durch eine enge Zielgruppenorientierung und zeitliche Befristung der Subvention reduziert werden können. Der zweite Aspekt, die kriminelle Unterdeklaration der gezahlten Löhne, stellt eine Variante der Schattenwirtschaft dar. Ein Mindestlohn kann potenziell hier eine sinnvolle Barriere im Niedriglohnsektor einziehen. Nach der Studie von Tonin (2007) war dies ein Hauptbeweggrund für die starke Erhöhung des Mindestlohns in Ungarn im Jahr 2001. Die Studie leitet theoretisch ab, dass eine Mindestlohnerhöhung zu geringeren tatsächlichen Einkommen der Beschäftigten führen kann, ein Ergebnis das sich in einer empirischen Analyse für Ungarn bestätigt. Wenn eine kriminelle Unterdeklaration der gezahlten Löhne unterstellt wird, dann muss auch davon ausgegangen werden, dass nach Einführung eines Mindestlohns die Arbeitszeit zu niedrig deklariert wird, um zu niedrige Stundenlöhne zu kaschieren.

  11. 11.

    Was ist das Fazit meiner Ausführungen? Gegner eines Mindestlohns und Befürworter eines moderaten Mindestlohns in Deutschland weisen überzeugende theoretische Argumente für ihre Positionen auf. Im Gegensatz dazu ist leider die empirische Basis der Diskussion in Deutschland noch sehr schwach. Um mein politisches Fazit vorwegzunehmen, im Lichte des aktuellen Diskussionsstandes kann ich die Einführung eines noch so moderaten Mindestlohns nicht befürworten. Allerdings sind für mich Umstände denkbar, unter denen die Einführung eines moderaten Mindestlohns sinnvoll wäre.

    Meine Bewertung der Debatte fasse ich in folgenden fünf Punkten zusammen. Erstens, angesichts der Tatsache, dass ein Mindestlohn einen gravierenden ordnungspolitischen Eingriff in das Geschehen am Arbeitsmarkt darstellt und das polit-ökonomische Risiko der Setzung eines zu hohen Mindestlohn bestehen kann (siehe u. a. Franz 2007; Börsch-Supan 2008, S. 37ff.), liegt die Bringschuld für eine empirische Untermauerung ihrer Position bei den Befürwortern der Einführung eines moderaten Mindestlohns. Dies gilt umso mehr angesichts der großen Zahl an glaubwürdigen empirischen Studien für andere Länder, die negative Beschäftigungseffekte ermitteln (Neumark u. Wascher 2007). Auch für die Einführung des Mindestlohns in Großbritannien wurde ein negativer Beschäftigungseffekt in einem Wirtschaftszweig durch Machin et al. (2003) gefunden, obwohl die Autoren zu den Befürwortern eines moderaten Mindestlohns gehören. Zweitens, eine Politikempfehlung kann nicht auf einem theoretisch denkbaren Ergebnis aufbauen, sondern sie muss aus meiner Sicht durch solide empirische Evidenz für die zu Grunde gelegte Theorie untermauert werden. Genau dieses fehlt bei den meisten akademischen Befürwortern eines Mindestlohns in Deutschland. Die potenzielle Denkbarkeit eines nicht bestehenden negativen Beschäftigungseffektes (so bspw. Bosch 2007) ist nach meiner Sicht keine ausreichende Begründung. Drittens, die viel beachtete Studie von König u. Möller (2007) liefert einen ersten, wichtigen Beitrag, um der Debatte in Deutschland eine solide empirische Basis zu geben. Ein Teil der an der Studie von Mindestlohngegnern geäußerten Kritik ist nicht überzeugend. Besser sollte dies Anlass und Motivation für glaubwürdige Replikationsstudien sein, analog zu den Replikationen der Studie von Card u. Krueger (1995), die von Neumark u. Wascher (2007) zusammengefasst werden. Die Ergebnisse von König u. Möller (2007) für einen(!) Wirtschaftszweig können jedoch aus den oben diskutierten Gründen nicht als Begründung für die Einführung eines Mindestlohns herangezogen werden. Viertens, die empirische Debatte bräuchte eine Vielzahl von Studien wie König u. Möller (2007), die sich methodisch an der internationalen Literatur orientieren (Neumark u. Wascher 2007). Durch empirisches Topfschlagen könnte gegebenenfalls tatsächlich ein moderates Niveau eines Mindestlohns gefunden werden, das mit keinen oder nur geringen, vertretbaren Beschäftigungseinbußen verbunden ist. Das ist augenscheinlich eine Basis für die Setzung des Mindestlohns durch die Low Pay Commission in Großbritannien. In Deutschland böte sich an, für die empirische Analyse Tariflohnerhöhungen im Niedriglohnbereich als natürliche Experimente zu verwenden. Hier ist jedoch die Exogenität des natürlichen Experiments kritisch zu diskutieren. Es ist offen, ob empirisches Topfschlagen für Deutschland ausreicht, um einen moderaten Mindestlohn zu identifizieren. Fünftens, eine solide empirische Basis für die Einführung eines Mindestlohns könnte darin bestehen, dass glaubwürdige Evidenz für das Vorliegen monopsonistischer Konkurrenz im Niedriglohnsektor vorgelegt wird. Indem bspw. Friktionsparameter geschätzt werden, wäre die Marktmacht der Arbeitgeber im Lichte der modernen Gleichgewichts-Suchtheorie empirisch zu messen. Dabei müsste der Heterogenität der Arbeitskräfte stärker Rechnung getragen werden, als dies bisher in dieser Literatur der Fall ist. Eine empirisch umsetzbare Integration der Theorie der Arbeitsnachfrage bei heterogener Arbeit in die Gleichgewichts-Suchtheorie stellt jedoch nach meiner Literaturkenntnis ein bisher ungelöstes Problem dar (Cahuc u. Zylberberg 2004; Manning 2003). Angesichts hoher empirischer Elastizitäten der Arbeitsnachfrage im Niedriglohnsektor (Fitzenberger u. Kohn 2006) halte ich dies jedoch für unabdingbar, um die Wirkung eines Mindestlohns angemessen einschätzen zu können. Leider sind zu diesem Punkt kurzfristig keine neuen Ergebnisse zu erwarten, da dies wissenschaftliches Neuland ist. Kurzfristig verbleibt nur das empirische Topfschlagen.

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Correspondence to Bernd Fitzenberger.

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Dieser Beitrag erschien erstmalig im ifo Schnelldienst Nr. 11, Juni, 2008. Ich danke Aderonke Osikominu für hilfreiche Kommentare. Für alle Unzulänglichkeiten und verbleibende Fehler bin ich alleine verantwortlich.

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Fitzenberger, B. Anmerkungen zur Mindestlohndebatte: Elastizitäten, Strukturparameter und Topfschlagen. ZAF 42, 85–92 (2009). https://doi.org/10.1007/s12651-009-0004-z

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